Technologie

In der Produktentwicklung stehen die Zeichen auf Veränderung


Von Sanjay Konagurthu,

Neue Werkzeuge und neue Aktive mischen bei der Entstehung neuer Produkte mit.

Neue Impfstoffe brauchen für die Entwicklung meist rund zehn Jahre. Dass es auch sehr viel schneller gehen kann, zeigten die neuen Covid-Vakzine, die nach nur einem Jahr zur Verfügung standen. Früher waren Pharmakonzerne marktbeherrschend, heute kommen zunehmend kleine, junge Unternehmen hinzu, die die Innovation und Entwicklung neuer Wirkstoffe vorantreiben. Diese „Erfinder“ erhalten wertvolle Hilfe von CDMOs (Contract Development and Manufacturing Organizations), die sie dabei unterstützen, innovative Medikamente zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen. Mit Dr. Sanjay Konagurthu, Senior Director Science & Innovation bei Thermo Fisher Scientific, einem führenden Anbieter von End-to-End-Pharmadienstleistungen, sprachen wir über die Veränderungen in der Arzneimittelentwicklung.

KORSCH:MAGAZIN: Wie lange dauert der Entwicklungsprozess für ein neues Medikament?

Sanjay Konagurthu: Das ist ein aufwendiger Prozess: Von der Entdeckung des Wirkstoffes bis zu seiner Markteinführung dauert es häufig mindestens zehn Jahre. In besonderen Fällen, etwa bei der Entwicklung von Medikamenten mit „Orphan Drug“-Status, kann es aber auch schneller gehen.

KORSCH:MAGAZIN: Und wie hoch sind die Erfolgsquoten, ein Produkt auf den Markt zu bringen?

Sanjay Konagurthu: Die sind sehr gering: Von anfangs 10.000 bis 15.000 neuen Wirkstoffen, die mithilfe des Hochdurchsatz-Screenings in der Entwicklungsphase identifiziert werden, erreichen in der Regel weniger als zehn die klinische Phase. Anschließend wird für gewöhnlich einer zugelassen und erlangt die Marktreife. Die größten Probleme, mit denen die Industrie bei kleinen Molekülen konfrontiert ist, betreffen die Löslichkeit und die Bioverfügbarkeit.

KORSCH:MAGAZIN: In welchem Stadium der Entwicklung erfolgt die Patentanmeldung?

Sanjay Konagurthu: Die erfolgt sehr früh, und es wird eine ganze Reihe von Patenten angemeldet, um das Molekül, die Formulierung und den Prozess zu erfassen.

KORSCH:MAGAZIN: Ist „Time to Market“ die entscheidende Einflussgröße für den Entwicklungsprozess?

Sanjay Konagurthu: Der Großteil der Einnahmen wird vor Ablauf des Patents erzielt, wenn die Patentinhaber noch Exklusivität genießen. Danach folgen schnell Wettbewerber mit ähnlichen Molekülen, und nach Ablauf der Patente wird das Produkt von Dritten als Generikum hergestellt. Es ist die große Zunahme von Generika in den letzten 30 Jahren, die den Unterschied macht. Deshalb spielt der Zeitfaktor eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung.

KORSCH:MAGAZIN: Wie genau kann die „Time to Market“ verkürzt werden?

Sanjay Konagurthu: Wir gehen bei der Produktentwicklung sehr systematisch vor. Heutzutage kann die Entwicklung mit prädiktiven Modellierungswerkzeugen für Prozess, Pharmakokinetik (die Gesamtheit aller Prozesse, denen ein Arzneistoff im Körper unterliegt) und Stabilität beschleunigt werden. Dabei kommen auch Methoden wie Kompaktierungssimulation, DEM (Diskrete-Elemente-Methode) oder CFD (Computational Fluid Dynamics: numerische Strömungsdynamik) zum Einsatz. Diese ermöglichen es, die kritischen Materialeigenschaften und Prozessparameter zu verstehen, die sich jeweils auf die kritischen Qualitätseigenschaften des Produkts auswirken. Um ein robustes Medikament zu entwickeln, muss man die Performance, den Prozess – also die Herstellbarkeit – und die Stabilität grundsätzlich unter Kontrolle haben. Alle drei müssen ganzheitlich betrachtet werden.

KORSCH:MAGAZIN: Wo sehen Sie die kommenden Trends bei der Produktentwicklung?

Sanjay Konagurthu: Ein wichtiges Thema ist die Löslichkeit, um die Potenziale von neuen APIs nutzen zu können, ihre Wirkung zu verbessern oder den Einsatz überhaupt zu ermöglichen. Die Nutzung von Technologien wie amorphe Dispersionen durch Sprühtrocknung, Heißschmelz-Extrusion oder lipidbasierte Ansätze können dazu beitragen, die Probleme der Löslichkeit und Bioverfügbarkeit zu überwinden. Auch die kontinuierliche Produktion wird ein wichtiger Aspekt sein. Sie eignet sich jedoch nicht für alle Medikamente und benötigt ein gewisses Produktionsvolumen. Weitere aktuelle Themen, die eine zunehmend größere Rolle spielen werden, sind die „zielgerichtete Medizin“ oder „Präzisionsmedizin“.

KORSCH:MAGAZIN: Dr. Konagurthu, die Entwicklung pharmazeutischer Produkte ändert sich derzeit. Wer sind die Innovationstreiber?

Sanjay Konagurthu: Oftmals sind dies kleine Start-ups oder auch Hochschulen, die forschen und Innovationen schaffen. Sie entdecken neue Moleküle und führen erste Tests durch, manchmal auch schon erste Tierversuche. Gelegentlich werden solche Start-ups mit aussichtsreichen Ansätzen von großen Konzernen übernommen, die dann gemeinsam mit ihnen die Entwicklung und Markteinführung abschließen. Dies geschah zum Beispiel bei der Messenger-RNA(mRNA)-Technologie für Impfstoffe. In anderen Fällen wenden sich die Start-ups an CDMOs.

KORSCH:MAGAZIN: Was bietet ein CDMO wie Thermo Fisher diesen jungen, innovativen Start-ups?

Sanjay Konagurthu: Mittlerweile sind rund 80 Prozent unserer Kunden kleinere und aufstrebende Unternehmen. Wir bieten ihnen alles aus einer Hand – von der API-Produktion, Tests und Screenings, Formulierung, Produktion für die klinischen Phasen über das Scale-up und die Kommerzialisierung bis hin zur Unterstützung bei Verpackung und Distribution. Wir bedienen somit die komplette Entwicklungs-, Produktions- und Wertschöpfungskette.

KORSCH:MAGAZIN: Welche Vorteile haben die Unternehmen davon?

Sanjay Konagurthu: Sie müssen sich nicht mit vielen verschiedenen Zulieferern und Dienstleistern beschäftigen, denn die Beschaffungs- und Lieferketten können sehr komplex sein. Wir haben eigene Programme kreiert, mit denen wir die Produktentwicklung für unsere Kunden systematisch beschleunigen, damit diese möglichst schnell auf den Markt gelangen.

KORSCH:MAGAZIN: Wie sehen Sie die Zukunft der Tablette?

Sanjay Konagurthu: Ich denke, in Bezug auf Performance, Produktionsmöglichkeiten und Stabilität besitzt die Tablette herausragende Eigenschaften. Sie ist die am weitesten verbreitete Darreichungsform und wird es meiner Meinung nach auch bleiben. Denn wer greift schon zur Spritze, wenn er auch eine Tablette nehmen kann? Ein spannendes Thema werden auch Vakzine in Tablettenform sein.

KORSCH:MAGAZIN: Kommen wir auf Ihr Labor zu sprechen: Welche Geräte und Maschinen benutzen Sie?

Sanjay Konagurthu: Wir verfügen über Geräte der namhaften Hersteller in unserem Netzwerk – somit natürlich auch über verschiedene Tablettenpressen und Simulatoren von KORSCH-MEDELPHARM. Wir machen viele Kompaktierungssimulationen; das gehört neben den prädiktiven Modellierungen und anderen technischen Lösungen zu unserer Toolbox.

KORSCH:MAGAZIN: Das freut uns! Haben Sie vielen Dank für das informative Gespräch!

Sanjay Konagurthu
Senior Director Science & Innovation, Thermo Fisher Scientific